Hölderlin-Kalender


Elegie

Täglich geh' ich heraus und such' ein Anderes immer,
   Habe längst sie befragt, alle die Pfade des Lands;
Droben die kühlenden Höhn, die Schatten alle besuch' ich,
   Und die Quellen; hinauf irret der Geist und hinab,
Ruh' erbittend; so flieht das getroffene Wild in die Wälder,
   Wo es um Mittag sonst sicher im Dunkel geruht;
Aber nimmer erquickt sein grünes Lager das Herz ihm
   Wieder und schlummerlos treibt es der Stachel umher.
Nicht die Wärme des Lichts und nicht die Kühle der Nacht hilft
   Und in Wogen des Stroms taucht es die Wunden umsonst.
Ihm bereitet umsonst die Erd' ihr stärkendes Heilkraut
   Und sein schäumendes Blut stillen die Lüftchen umsonst.

Wehe! so ists auch, so, ihr Todesgötter! vergebens,
   Wenn ihr ihn haltet und fest habt den bezwungenen Mann,
Wenn ihr einmal hinab in eure Nacht ihn gerissen,
   Dann zu suchen zu flehn, oder zu zürnen mit euch,
Oder geduldig auch wohl in euren Banden zu wohnen
   Und mit Lächeln von euch hören das furchtbare Lied.
Denn bestehn, wie anderes, muss in seinem Gesetze,
   Immer altern und nie enden das schaurige Reich.
Aber noch immer nicht, o meine Seele! noch kannst dus
   Nicht gewohnen und träumst mitten im eisernen Schlaf.

Tag der Liebe! scheinest du auch den Toten, du goldner!
   Bilder aus hellerer Zeit leuchtet ihr mir in die Nacht?
Liebliche Gärten, seid, ihr abendrötlichen Berge,
   Seid willkommen, und ihr, schweigende Pfade des Hains.
Zeugen himmlischen Glücks! und ihr, allschauende Sterne,
   Die mir damals oft segnende Blicke gegönnt!
Euch, ihr Liebenden, auch, ihr schönen Kinder des Frühlings,
   Stille Rose und euch, Lilien! nenn' ich noch oft, -
Ihr Vertrauten! ihr Liebenden all', einst nahe dem Herzen,
   Einst wahrhaftiger, einst heller und schöner gesehn!
Tage kommen und gehn, ein Jahr verdränget das andre,
   Wechselnd und streitend; so tost furchtbar vorüber die Zeit
Über sterblichem Haupt, doch nicht vor seligen Augen,
   Und den Liebenden ist anderes Leben gewährt.
Denn sie alle die Tag' und Stunden und Jahre der Sterne
   Und der Menschen, zur Lust anders und anders bekränzt
Fröhlicher, ernster, sie all', als echte Kinder des Äthers
   Lebten, in Wonne vereint, innig und ewig um uns.
Aber wir, unschädlich gesellt, wie die friedlichen Schwäne,
   Wenn sie ruhen am See, oder, auf Wellen gewiegt,
Niedersehn in die Wasser, wo silberne Wolken sich spiegeln,
   Und das himmlische Blau unter den Schiffenden wallt,
So auf Erden wandelten wir. Und drohte der Nord auch,
   Er, der Liebenden Feind, sorgenbereitend, und fiel
Von den Ästen das Laub und flog im Winde der Regen,
   Lächelten ruhig wir, fühlten den Gott und das Herz
Unter trautem Gespräch, im hellen Seelengesange,
   So im Frieden mit uns kindlich und selig allein.

Ach! wo bist du, Liebende, nun? Sie haben mein Auge
   Mir genommen, mein Herz hab' ich verloren mit ihr.
Darum irr' ich umher, und wohl, wie die Schatten, so muss ich
   Leben und sinnlos dünkt lange das Übrige mir.
Danken möcht' ich, aber wofür? verzehret das Letzte
   Selbst die Erinnerung nicht? nimmt von der Lippe denn nicht
Bessere Rede mir der Schmerz, und lähmet ein Fluch nicht
   Mir die Sehnen und wirft, wo ich beginne, mich weg?
Dass ich fühllos sitze den Tag und stumm, wie die Kinder,
   Nur vom Auge mir kalt öfters die Tropfe noch schleicht,
Und in schaudernder Brust die allerwärmende Sonne
   Kühl und fruchtlos mir dämmert, wie Strahlen der Nacht,
Sonst mir anders bekannt! O Jugend! und bringen Gebete
   Dich nicht wieder, dich nie? führet kein Pfad mich zurück?
Soll es werden auch mir, wie den Tausenden, die in den Tagen
   Ihres Frühlings doch auch ahndend und liebend gelebt,
Aber am trunkenen Tag von den rächenden Parzen ergriffen,
   Ohne Klag' und Gesang heimlich hinuntergeführt
Dort im allzunüchternen Reich, dort büssen im Dunkeln,
   Wo bei trügerischem Schein irres Gewimmel sich treibt,
Wo die langsame Zeit bei Frost und Dürre sie zählen,
   Nur in Seufzern der Mensch noch die Unsterblichen preist?

Aber o du, die noch am Scheidewege mir damals,
   Da ich versank vor dir, tröstend ein Schöneres wies,
Du, die Grosses zu sehn und die schweigenden Götter zu singen,
   Selber schweigend mich einst stillebegeisternd gelehrt,
Götterkind! erscheinest du mir und grüssest, wie einst, mich,
   Redest wieder, wie einst, Leben und Frieden zu mir?
Siehe! weinen vor dir und klagen muss ich, wenn schon noch
   Denkend der edleren Zeit, dessen die Seele sich schämt.
Denn zu lange, zu lang' auf matten Pfaden der Erde
   Bin ich, deiner gewohnt, einsam gegangen indes,
O mein Schutzgeist! denn wie der Nord die Wolke des Herbsttags
   Scheuchten von Ort zu Ort feindliche Geister mich fort.
So zerrann mein Leben, ach! so ists anders geworden,
   Seit, o Liebe, wir einst gingen am ruhigen Strom.
Aber dich, dich erhielt dein Licht, o Heldin! im Lichte,
   Und dein Dulden erhielt liebend, o Himmlische! dich.
Und sie selbst, die Natur und ihre melodischen Musen
   Sangen aus himmlischen Höhn Wiegengesänge dir zu.
Noch, noch ist sie es ganz! noch schwebt vom Haupte zur Sohle,
   Stillhinwandelnd, wie sonst, mir die Athenerin vor.
Selig, selig ist sie! denn es scheut die Kinder des Himmels
   Selbst der Orkus, es rinnt, gleich den Unsterblichen selbst,
Ihnen der milde Geist von heitersinnender Stirne,
   Wo sie auch wandeln und sind, segnend und sicher herab.

Darum möcht', ihr Himmlischen, euch ich danken und endlich
   Tönet aus leichter Brust wieder des Sängers Gebet.
Und wie wenn ich mit ihr auf Bergeshöhen mit ihr stand,
   Wehet belebend auch mich, göttlicher Othem mich an.
Leben will ich denn auch! schon grünen die Pfade der Erde
   Schöner und schöner schliesst wieder die Sonne sich auf.
Komm! es war, wie ein Traum! die blutenden Fittige sind ja
   Schon genesen, verjüngt wachen die Hoffnungen all.
Dien' im Orkus, wem es gefällt! wir, welche die stille
   Liebe bildete, wir suchen zu Göttern die Bahn.
Und geleitet ihr uns, ihr Weihestunden! ihr ernsten,
   Jugendlichen! o bleibt, heilige Ahnungen ihr,
Fromme Bitten, und ihr Begeisterungen, und all ihr
   Schönen Genien, die gerne bei Liebenden sind,
Bleibet, bleibet mit uns, bis wir auf seligen Inseln,
   Wo die Unsern vielleicht, Dichter der Liebe, mit uns,
Oder auch, wo die Adler sind, in Lüften des Vaters,
   Dort, wo die Musen, woher all' die Unsterblichen sind,
Dort uns staunend und fremd und bekannt uns wieder begegnen,
   Und von neuem ein Jahr unserer Liebe beginnt.

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